Elon Musk: Pionier und Freigeist
„Wenn man von Elon Musk spricht, hört die Welt zu – ob begeistert oder skeptisch. Geboren 1971 in Pretoria, Südafrika, war Musk nicht nur für kurze Zeit der reichste Mann des Planeten, sondern auch einer der ambitioniertesten Unternehmer unserer Generation. Mit nur 24 Jahren startete er mit Zip2 durch. Und dann? Ein Feuerwerk an Start-ups: Von X.com, dem Vorläufer von PayPal, über die bahnbrechenden SpaceX und Tesla bis hin zu Pionierprojekten wie OpenAI’s ChatGPT und Neuralink. Musk definiert, was es heißt, ein Technik-Vorreiter im 21. Jahrhundert zu sein!“
Und dann kam Twitter
Elon Musk ist schon lange auf der Plattform Twitter aktiv und das teilweise mit immensem Impact. Stand heute (August 2023) hat Musk 152.470.614 Follower. Am 3. April dieses Jahres hatte er beispielsweise sein Profilbild hin zu einem Bild des Dogecoin – einer Kryptowährung, ohne jegliche Erklärung, geändert. Der Wert der Kryptowährung ist daraufhin innerhalb kürzester Zeit gestiegen (Quelle: T3N, 04/2023; Link). Dies ist nur die Spitze des Eisbergs – durch seine teils provokanten und absolut zufälligen Tweets (häufig auch negativ in Richtung Twitter) bietet er zahlreiche Vorlagen für Memes – und die gibt es auch zuhauf. Musk ist mit der Plattform schon lange dicht verwoben.
Twitter ist tot, lang lebe X – Katastrophales Brand Management bei Twitter
Auf die Frage was Musk bei der Marke Twitter und im Re-Brandingprozess alles falsch gemacht hat, gibt es zahlreiche Punkte, auf die man eingehen könnte. Der Grundkonsens ist allerdings, dass nahezu jede seiner Entscheidungen, die Marke immer weiter hat bröckeln lassen – bis nun nichts mehr übrig ist. Man siehe sich nur die Chronologie seines persönlichen Scheiterns (siehe weiter unten im Blog) an. Ohne zwingend Experte für Branding oder Marketing sein zu müssen, wird schnell klar, was alles falsch gelaufen ist. Dennoch habe ich im Folgenden auf fachlicher Ebene sieben Punkte herausgearbeitet:
1. Verlust der Markenidentität
Der schlagartige Wechsel von einem etablierten und weltweit bekannten Namen wie Twitter zu X beschädigt Markenidentität. Twitter und vor allem das Verb „tweeten“ hatte eine starke Assoziation mit den sozialen Medien bzw. der Kommunikation selbst. Der neue Name hingegen und die damit verbundene Bedeutung lässt alle im Unklaren. Wie die Taschentücher Tempo, war und ist „tweeten“ ein Gattungsbegriff und wird nicht so schnell verschwinden. Wir sprechen hier nicht über einen Schokoriegel, den man einfach mit einer schicken Kampagne rebranden könnte (z.B. wie Riders heißt jetzt Twix); wir sind im Internet – hier läuft eben vieles anders.
2. Verwirrung und Unklarheit
Der neue Name X ist nicht aufgeladen. Was ist die Marken-Philosophie? Wofür steht die Marke? Außer dafür, Mitarbeitende zu kündigen, keine Miete zu bezahlen, persönliche Fehltritte von Elon Musk und seltsame Hauruckentscheidungen zu treffen? Dies führt zur Verwirrung und damit zu fehlendem Vertrauen der Marke gegenüber. Eine Plattform, auf der (politische) Meinungen diskutiert werden sollen und die dabei gleichzeitig kaum vertrauensvoll wirkt, scheint mir als eine schlechte Kombination.
3. Fehlende Kontinuität
Ein erfolgreiches Rebranding sollte eine gewisse Kontinuität zwischen dem alten und neuen Markennamen bewahren, um einen nahtlosen Übergang für die Nutzer zu gestalten. Der radikale Wechsel zu einem völlig neuen Namen kann dazu führen, dass sich die Nutzer von der Marke entfremden und sich nicht mehr mit ihr identifizieren können.
4. Mangelnde Kommunikation
Die Gründe für den Namenswechsel und das Rebranding wurden nicht kommuniziert – vielmehr war es ein persönliches Durchsetzen seitens Musk, weil er offensichtlich ein Faible für den Buchstaben X hat. Werden die Gründe für den Namenswechsel nicht genannt, wirft das nur weitere Fragen bei den Nutzer:innen auf – beispielsweise wie sich dies auf die Nutzung der der Plattform auswirkt. So entsteht Unsicherheit. Eine klare und überzeugende Kommunikation ist entscheidend, um das Vertrauen zu bewahren – es gab nichts dergleichen
5. Verlust der Markenwerte
Twitter war bekannt und geschätzt für die politische Relevanz, Meinungsfreiheit und hatte darüber hinaus sogar eine kulturelle Bedeutung. Wenn der neue Name und das Rebranding diese Werte nicht angemessen widerspiegeln oder sie sogar verwässern, werden sich Nutzer:innen und Werbetreibende (weiterhin) abwenden.
6. Rechtliche Herausforderungen
Es gibt möglicherweise rechtliche Probleme (u.a. mit Meta) im Zusammenhang mit dem neuen Namen „X“, insbesondere in Bezug auf Namensrechte und Markenschutz. Derartige rechtliche Auseinandersetzungen können den Ruf der Marke beschädigen und zu langwierigen Rechtsstreitigkeiten führen. Bei juristischen Niederlagen könnte dies sogar zur Folge haben, dass der Name wieder geändert werden muss.
7. Fehlende Einbindung der Community
Eine erfolgreiche Marke lebt von der Unterstützung und Identifikation ihrer Nutzergemeinschaft. Wenn die Nutzer:innen nicht in den Namenswechsel oder das Rebranding einbezogen wurden oder das Gefühl vermittelt bekommen, dass ihre Meinungen und Bedenken nicht berücksichtigt werden, kann dies zu negativen Reaktionen führen – und genau dies aktuell der Fall. Die Community ist das Rückgrat der Plattform. Ohne User, kein Twitter.
Zwischenfazit
Eine erfolgreiche Neugestaltung erfordert eine sorgfältige Planung, Kontinuität in der Umsetzung und ein Abwägen der potenziellen Risiken. Um sicherzustellen, dass die neuen Markenelemente die gewünschte Botschaft übermitteln und die Erwartungen der Nutzer erfüllen, bedarf es einer klaren Kommunikation – nichts davon ist geschehen, nur Gegenteiliges. Um nachvollziehen zu können, wieso die Geschichte um Twitter kein Happy End nahm, zeige ich Ihnen im Folgenden die wichtigsten zeitlichen Eckpunkte von der Idee Twitter zu kaufen bis zum Jahr 2023.
Musk und Twitter – die Chronologie einer Hassliebe
Der indirekte Startschuss für die Übernahme von Twitter fiel am 27.03.2022 mit dem Tweet, dass Musk ernsthaft darüber nachdenke, eine eigene Social Media Plattform aufzubauen, da er der Meinung sei, dass Twitter die Demokratie untergrabe und sich die Plattform nicht an die Meinungsfreiheit halte (Quelle: Spiegel, 10/2022; Link). Musk lässt leider den Fakt völlig aus dem Spiel, dass die amerikanische Verfassung, die Zensur durch private Unternehmen bzw. soziale Netzwerke gar nicht schützt – sondern nur die Zensur der persönlichen Meinung durch den Staat (BPB, 03/2020, Link) – Fakten die gern wissentlich, aber auch unwissentlich durcheinander gebracht werden.
Am 04. April 2022 kauft Musk schließlich 73,5 Millionen Twitter Aktien im Gesamtwert von 2,9 Milliarden USD – dies entspricht einem Anteil in Höhe von 9,2 Prozent und macht ihn zum größten Aktionär. Die Aktie steigt um etwa 25 %. Am Folgetag kündigt der damalige Twitter-Chef Parag Agrawal an, dass Musk in den Verwaltungsrat einziehen soll. Nach einem weiteren provokanten Tweet „Stirbt Twitter?“ und ein paar weiteren Tagen, gibt Agrawal bekannt, dass sich Musk gegen den Sitz im Verwaltungsrat entschieden hat. Nur drei Tage später, am 13.04.2023 startet Musk seinen ersten Übernahmeversuch: Er will alle Aktien zu einem Stückpreis von 54,20 USD kaufen und die Plattform von der Börse nehmen. Scheitere dieser Versuch, müsse er sein Engagement bei Twitter überdenken. Daraufhin wehrt sich Twitter und verabschiedet einen Plan, der die Rechte der aktuellen Anteilseigner stärkt und es ihnen ermöglicht diese zusätzlichen Anteile vergünstigt zu erwerben.
Weitere 10 Tage später, am 25.04.2022, gibt Twitter bekannt, dass Musk die Plattform nun für den gewünschten Preis in Höhe von 54,20 USD pro Aktie gekauft hat. Insgesamt hat Musk knapp 41 Milliarden Euro gezahlt – nun müssen nur noch die Aktionäre ihre Zustimmung geben. Nach weiteren Tweets wie „er wolle als nächstes Coca-Cola kaufen und tue wieder Kokain hinein“ kommt ihm am 04.05. zum ersten Mal die Idee auf, dass er eine Gebühr für bestimmte Nutzer einziehen möchte. Am 10.05. kündigt Musk an, dass Ex-Präsident Donald Trump wieder auf die Plattform zurückkehren soll. Weitere drei Tage später, am 13.05. pausiert Musk die Übernahme. Obwohl er bereits über 7 Milliarden Dollar von Investoren für die Übernahme eingesammelt hat, möchte er erst die Hochrechnungen des tatsächlichen Anteils von echten Usern auf der Plattform abwarten – er spricht immer wieder von unter 5 % an echten Usern – der Rest seien Bots bzw. Fake-Accounts. Im Juni geht Musk anwaltlich gegen Twitter vor, da sich der Konzern seiner Meinung nach nicht an die vereinbarten Bedingungen zu der Herausgabe von Daten zu Fake-Konten halte. So behalte er sich das Recht vor, den Deal doch noch abzusagen – möglicherweise auch ein Versuch den Preis zu drücken. Daraufhin fällt die Aktie um 6,3 Prozent.
Doch nun ist alles Geschichte. Am 08.07.2022 erklärt Musk über seine Anwälte die Kaufvereinbarung für aufgelöst. Als Grund werden die angeblich fehlenden Informationen zu den Fake-Accounts genannt. Die Aktie fällt um weitere 6 Prozent. Twitter kündigt an, Musk gerichtlich zur Übernahme zu zwingen. Im Oktober gibt Musk bekannt, dass die Vereinbarung zur Übernahme nun doch nicht aufgelöst sei und dass er diese nun doch vollziehen möchte. Das aktuell laufende Gerichtsverfahren gegen ihn wird erstmal ausgesetzt. Am 28.10.2022 endet nun das Hin und Her. Musk übernimmt Twitter und entlässt die aktuellen Führungskräfte. Musk ändert darauf seine Profilbeschreibung zu „Chief Twit“. Über den Umgang mit den Mitarbeitern und die damit verbundene Kündigungswelle befassen wir uns in diesem Blog nicht weiter – dies würde den gesetzten Rahmen sprengen.
Aber warum erkläre ich Ihnen die Chronologie so ausführlich? Ganz einfach: Um nachvollziehen zu können, wie spontan Entscheidungen getroffen werden. Nachdem Sie all dies gelesen haben, stelle ich Ihnen ein paar Fragen: Halten Sie Musk für einen verantwortungsvollen Geschäftsführer, der mit ganz klar kalkulierten und abgewägten Entscheidungen die Marke Twitter verantwortungsvoll und meinungsunabhängig führen kann? Kann er die Werte verkörpern, für die Twitter stand? Ich lasse die Antworten offen, auch wenn Sie meine wahrscheinlich schon kennen. Mehr zur der Persönlichkeit Musks und seinen Einfluss auf die Marke Twitter erfahren Sie nun im Folgenden.
Die Faszination mit dem Buchstaben X
Dass Elon Musk eine besondere Vorliebe für den Buchstaben X hat, sollte nach der Umbenennung Twitters niemanden mehr wundern. Der Buchstabe taucht aber auch in anderen Bereichen seines Lebens und seiner Geschäftsinteressen auf:
- Twitter heißt nun X (bereits PayPal sollte damals X heißen, doch andere Mitentscheider haben dies damals verwehrt)
- SpaceX: Das X in SpaceX steht für Exploration
- Tesla – Model X: Das X könnte hier als Symbol für ein fortgeschrittenes oder zukünftiges Modell stehen. (Funfact: Die anderen Modelle heißen S, 3 und Y. Liest man die 3 als (siehe Leetspeak), dann ergibt dies SEXY)
- Sein Sohn: X Æ A-12 (ausgesprochen als Ex Ash A Twelve oder Ex Ay Archangel Twelve)
- X.com: 1999 gründete Musk bereits die Online-Bank auf der entsprechenden Domain (die Domain verkaufte er wieder und kaufte diese vor 6 Jahren von PayPal wieder zurück; es wird geschätzt, dass er dafür rund 5 Millionen USD zahlte)
Aber warum nun die Vorliebe für das X?
Kurz und knapp: Ich weiß es nicht – ich kann nur mutmaßen. Das X hat in der Popkultur und in der Technologie oft eine futuristische, fortschrittliche oder sogar geheimnisvolle Konnotation. Es kann für das Unbekannte stehen oder für das nächste große Ding. In Mathematik und Wissenschaft wird X oft als Platzhalter oder für das Unbekannte verwendet. In der Raumfahrt steht X traditionell für experimentelle Flugzeuge und Technologien, wie in X-Plane. In der Pornoindustrie ist der Buchstabe aber auch ein gern genutztes Mittel – so war die Domain x.com lange Heimat von Inhalten zum Thema Glücksspiel und Pornographie.
Spontane Entscheidungen – Satz mit X, das war wohl nix
Seit der Übernahme Twitters von Musk wurden unzählige Änderungen eingeführt und wieder rückgängig gemacht. Allein das Vorgehen mit der Verifikations-Badge, die käuflich erworben werden konnte war ein ewiges hin und her – wer kommt da überhaupt noch mit? Neben Änderungen im Algorithmus war die größte Änderung der Namenswechsel. Aber wieso sollte man eigentlich eine (ehemals) starke Marke beerdigen?
Bisher war das „Re-Branding“ von Twitter zu X im Grunde nur eine Aneinanderreihung von schlechten bis zu sehr schlechten Entscheidungen:
- Das provisorische X-Logo, welches in einer Nacht- und Nebelaktion über dem Twitter Headquarter aufgestellt wurde, musste rasch wieder entfernt werden. Der Grund: fehlende Genehmigungen. Einem Inspektor wurde sogar mehrfach der Zutritt untersagt.
- Der Name „X“ ist aus SEO-Perspektive eine Katastrophe
- Namensrechte sind unbekannt: Meta, Microsoft und viele weitere kleinere Unternehmen haben Rechte an dem Buchstaben X angemeldet
- Die Vermieter der Twitter-Büros klagen, da Musk seit Monaten keine Miete für die Immobilien zahlt (Spiegel, 01/2023; Link)
- Dem User Gene X Hwang der sich bereits 2007 das Handle @x auf Twitter gesichert hatte, wurde besagter Username ohne Absprache abgenommen (Business Insider, 07/2023; Link)
- Ehemalige Angestellte klagen gegen Twitter: Es geht um mindestens vier Sammelklagen, in denen Abfindungen in dreistelliger Millionenhöhe gefordert werden (besonders zu dem Thema kann ich das Video von „Ultralativ“ empfehlen).
- Negativer Spillover-Effekt: Mittlerweile beginnen die Fehltritte von Musk bei Twitter auch seinen anderen Marken zu schaden: Eine Studie unter Tesla-Fahrer:innen zeigt, dass diese keine Lust mehr auf Elon Musk haben (Bloomberg, 07/2023; Link)
- Persönliche Eskapaden von Elon Musk: Er umgibt sich mit Rechtsextremen (Hamburger Abendblatt, 05/2022; Link), Antisemiten (Tagesspiegel, 05/2023; Link) Rassisten (CNN, 02/2023; Link) Misogynen (Zeit, 12/2021; Link), radikalisiert sich öffentlich (BR, 05/2023; Link) und nimmt den antirassistischen, feministischen und schwarzen Bewegungen ihren digitalen Safe Space (übrigens ist er auch Trump Supporter)
- Seit Musks Übernahme der Plattform hat die Menge an Hatespeeches und Desinformationen zugenommen. Tweets, die Verunglimpfungen enthalten, sind um 200 % gestiegen. Tweets, die die Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen beinhalten, haben sich mehr als verdoppelt. Ebenso ist die Zahl an Tweets, die den Klimawandel leugnen stark angestiegen. Wird für die Blue-Badge gezahlt, wird gar nicht mehr gegen Hass vorgegangen (Tagesspiegel, 08/2023; Link)
- Die jahrelang aufgebaute Identität und Kredibilität wurden binnen Monaten zerstört
- In Folge der katastrophalen Entscheidungen haben sich auch sehr viele Werbekunden der Plattform abgewandt. Die Folge: Fehlende Einnahmen – Musk sieht darin eine persönliche Fehde, aber kein Eigenverschulden (Capital, 06/2023, Link)
Diese Liste könnte noch weiter fortgesetzt werden. Vor allem bei Klagen tut sich derzeit einiges. Auch Twitter klagt zurzeit zahlreiche Parteien an – ob begründet oder nicht, wird die Rechtsprechung zeigen.
Fazit
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht mehr – so ist es auch mit Marken. Denn Marken sind am Ende nichts anderes als Persönlichkeiten und Musk ist untrennbar mit seinen Marken verbunden. Seine Fehltritte wirken sich unabdingbar auf die Glaubwürdigkeit seiner Marken aus – und dies nun auch bei Twitter. Die Marke war schon immer wichtiger als die Plattform selbst. Jeder kennt den blauen Vogel, jeder kennt die Wörter Tweet bzw. etwas tweeten. Er hat buchstäblich mit seinem Handeln den Vogel abgeschossen. Mach es gut Larry!