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September 2020

Das soziale Dilemma

Eine Stellungnahme zum gefährlichsten Faktor in der aktuellen Gesellschaft.

Lesezeit: 7 Minuten

Social Dilemma durch Gruppe von Menschen mit Handy

Die soziale Zwangslage

Sucht man nach Synonymen für das Wort „Dilemma“ erscheinen Begrifflichkeiten wie Zwangslage, Unlösbarkeit, Bedrängnis und Seelennot. Und genau hier sollte jedem klar werden, welchen Wahrheitsgehalt der derzeit stark diskutierte Netflix-Film „The Social Dilemma“ hat. Denn sind wir mal ehrlich, in welche Bedrängnis oder in welche Zwangslage bringt uns denn Facebook, Google & Co. bitte? Aber nun mal von Anfang an …

Netflix‘s Social Dilemma

Anfang September erschien ein Dokudrama auf Netflix, in dem ehemalige Mitarbeiter von großen digitalen Plattformen über ihre Erfahrung und ihre jetzige Einschätzung gegenüber ihren ehemaligen Arbeitgeber sprechen. Es erklärt, wie Künstliche Intelligenz funktioniert und zeigt die gefährlichen Auswirkungen der sozialen Netzwerke. Der Trailer baut mit Aussagen wie „The Dark Side of Social Media“ über „[…] uses your psychology against you” bis zu „From the people who created it” sehr viel Spannung und Neugierde auf.

Mein persönliches Dilemma

Ich habe mir den Netflix-Film natürlich relativ schnell selbst angesehen, da ich als Social Media Expertin zum einen ein großes berufliches Interesse daran habe und zum anderen mich der Trailer auch persönlich gecatcht hat. Gleichzeitig häuften sich zuerst Anfragen von Kollegen und Freunden aus der Branche à la „Hast du die „Doku“ schon gesehen?“ und nun vermehrt Meinungen darüber sowie die Frage, wie ich denn dazu stehen würde. Eigentlich wollte ich mich dazu nicht äußern – dennoch tue ich es nun. Warum? Einerseits bezeichne ich den neusten Clickbait auf Netflix bewusst nicht als Doku, andererseits bezeichne ich es eben als Clickbaiting Deluxe.

Das Dilemma dieser „Doku“

In dem Dokudrama zeigt sich das „Who is who“ der Silicon-Valley-Aussteiger. Sympathisch, jung, „relatable“ – und trotzdem mit sehr beeindruckenden Lebensläufen. Die müssen sich also auskennen und deren Aussagen kann man Vertrauen schenken.

Es wirkt beinahe so, als würden die einzelnen Darsteller als Whistleblower agieren, um vor dem Monster, welches sie selbst teilweise erschaffen haben, zu warnen. Dabei werden beinahe sekündlich Aussagen wie „If you’re not paying for the product, then you’re the product” oder “It’s the gradual, slight, imperceptible change in our own behavior and perception that is the product“ getroffen.

Dazwischen werden immer wieder Szenen aus einem Art “Kontrollzentrum” gezeigt, um die Mechanik der Social Media Giganten und deren Algorithmen zu erklären und gleichzeitig dem Zuschauer zu verdeutlichen, wie stark wir alle von Künstlicher Intelligenz beeinflusst werden. Es wird also zu 98 Prozent des Films gezeigt, wie schlecht und furchteinflößend doch die Social Media Plattformen sind. Nach einer Stunde und 17 Minuten wird dann kurz erwähnt, inwiefern nicht die Plattformen an allem Schuld sind.

Tristan Harris, ehemaliger Google-Mitarbeiter, bringt es hier klar auf den Punkt „It’s not about the technology being the existential threat. It’s the technology’s ability to bring out the worst in society and the worst in society being the existential threat”. Und das sollte die Kernaussage des Films sein. Doch folgen leider darauf wieder Aussagen, wie „Civil War“ und „[…] destroy our civilization […]“ und die meisten Zuschauer haben sich sowieso bereits während der letzten 1 ¼ Stunden ihre Meinung dazu gebildet oder sagen wir lieber bilden lassen.

Defintion „Der Dokumentarfilm“
Film mit Dokumentaraufnahmen, der Begebenheiten und Verhältnisse möglichst genau, den Tatsachen entsprechend zu schildern versucht. (Quelle)

Laut der Definition des Dudens ist „The Social Dilemma“ somit kein Dokumentarfilm. Denn diese Produktion zeigt zwar das Ergebnis (beeinflussbare Menschen), aber fokussiert sich nur auf einen Verursacher (die Sozialen Medien) und stellt beinahe nichts in Verhältnis dazu. Dabei ist meine Vermutung, dass die Interviewsequenzen bewusst so geschnitten wurden, um die Aussagen der sympathischen Darsteller in dieses Licht zu rücken.

Eine von Ihnen – die Plattform Netflix

Jeder, der diese oder eine andere Streaming-Plattform nutzt, sollte eigentlich wissen, dass auch genau diese Plattformen ebenso mit KI arbeiten. Netflix produziert also eine „Doku“ über ein „Problem“ auf anderen Plattformen, welche sie selbst aber auch nutzen. Denn natürlich screent auch Netflix das Nutzungsverhalten jedes einzelnen Users und nutzt es dafür, diese länger auf der eigenen Plattform zu halten.

Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass sich die Vorschaubilder der Filme und Serien solange ändern bis Sie diese dann endlich konsumieren?! Netflix geht sogar noch einen Schritt weiter und beeinflusst die Zuschauer durch eigene Produktionen wie diese. Und das interessiert die Wenigsten. Daher bitte eine Runde Applaus für Netflix, die hier als klare Gewinner hervorgehen.

Meine persönliche Meinung

Wer nun denkt, er kennt meine Meinung schon, liegt wohl zu 80 Prozent falsch. Denn ich bin nicht der Meinung, dass es dieses Social Dilemma nicht gibt. Es mag an meiner Social Bubble liegen, in der ich mich nunmehr seit beinahe einem Jahrzehnt befinde, aber ist es uns nicht allen klar, dass auf genannten Plattformen genau das passiert?! Was dieser Film jedoch außen vor lässt ist, dass wir genauso am Zeitungsregal, im Fernsehen durch Product Placements, beim Abendessen von Freunden, in der Schule von Lehrern und in jeder erdenklichen Alltagssituation beeinflusst werden. Unsere Umgebung und unser Umgang formen unsere Meinung. Dazu zählen natürlich auch die Social Media Plattformen.

„Fun Fact“
Achten Sie das nächste Mal beim Einkaufen auf Ihren Kassenbon. Steht da unten etwas wie „Werden Sie PayBack Kunde“ oder erhalten Sie einen Coupon für ein Produkt, welches Sie gerade gekauft haben? Haben Sie je für solch eine Werbung eingewilligt?

Fazit zum Social Dilemma

Ist es dennoch der richtige Weg, alle Möglichkeiten der Beeinflussung abzuschalten? Meine klare Meinung ist „NEIN“. Es ist viel wichtiger, sich dessen bewusst zu sein und es dahingehend zu nutzen. Also bitte hören Sie endlich auf, Facebook oder Twitter als Nachrichtendienst zu verwenden, sich nur digital auf einer Seite zu informieren und nutzen Sie Ad Blockers, falls Ihnen personalisierte Werbung missfällt.

Des Weiteren, nur als nützliche Information nebenbei, überlegen Sie es sich bitte zweimal, Fotos Ihrer Kinder auf Instagram hochzuladen, die Story vom feuchtfröhlichen Abend sofort zu posten oder Kommentare zu hinterlassen, die Sie vielleicht in ein paar Jahren bereuen. Sprechen Sie mit Ihren Kindern darüber und bleiben Sie im Bilde, wie Ihre Kinder auf den Plattformen agieren.

Das ist Ihr Job als Elternteil und das war auch schon vor der Ära Facebook und Co. so. Und denken Sie an Ihre Jugend zurück und an die peinlichen Momente und Erinnerungen, die glücklicherweise nur in den Köpfen der Beteiligten weiterhin bestehen und nicht für Jedermann im World Wide Web sichtbar sind. Denn das Internet vergisst nichts und das sollte jedem klar sein, der sich selbst mal gegoogelt hat und noch die MySpace Seite von damals findet. Übrigens: Googeln sollte sich jeder mindestens einmal halbjährlich!

Wir haben unendlich viele Möglichkeiten uns Informationen zu holen und uns zu bilden. Also lassen Sie uns diese nutzen und hier das Positive sehen, denn meine Großeltern beispielsweise hatten in meinem Alter nicht die Möglichkeit herauszufinden, was auf der anderen Hälfte der Weltkugel jetzt gerade in diesem Moment passiert. Gleichzeitig sollten wir mehr Bewusstsein dafür schaffen, dass uns natürlich sämtliche Medien beeinflussen, die durch besonders „catchy“ Überschriften unsere Aufmerksamkeit suchen. Denn „Hallo“ dahinter stehen Unternehmen und die existieren nun mal nur durch Umsatz und Gewinn.

Während meines Bachelor-Studiums sagte einer meiner Professoren immer: „Glaubt mir nichts, das Ihr nicht selbst nachgelesen und überprüft habt.“ Und dafür, Herr Prof. Dr. Stauffert, bin ich Ihnen noch immer sehr dankbar. Denn Sie hatten und haben verdammt nochmal Recht!

Also, liebe Leser:innen, nutzen Sie jegliche Medien – print und digital – und formen Sie sich Ihre eigene Meinung über jegliches Thema. Diese kann man dann übrigens auch viel besser und tiefgründiger beim nächsten Abendessen mit Freunden diskutieren. 😉

steffi k

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mein Name ist Steffi und ich bin bei Weder & Noch im Bereich Account- und Projektmanagement & Head of Social Media tätig. Ich freue mich über Feedback oder Ihre Kontaktaufnahme. Wenn Sie mehr über uns als Agentur erfahren wollen, werfen Sie doch einen Blick auf unsere Seite.