Marken neu denken: Wie bleiben Marken auch in der Zukunft erfolgreich?
Die klassische Werbung und das Marketing, wie wir sie überzeichnet aus den 60er Jahren kennen, sind schon lange tot. Die alte Markenmagie hat ebenso ihre Verlässlichkeit verloren wie die langjährige Loyalität und Markentreue der Kunden. Der Megatrend der Digitalisierung und die damit einhergehende mediale Transformation hat die bestehenden Marketingmechanismen auf den Kopf gestellt. Marken stehen vor neuen Herausforderungen.
Das einst hochgelobte Sender-Receiver-Model ist nicht mehr zeitgemäß und hat ausgedient. Massenmedien in TV, Radio und Print haben lange mit einseitiger Frontbeschallung durch eine möglichst konsistente Kommunikation – von Anzeigen, Spots über Packaging und Customer Service – versucht bestimmte Identitäten in den Köpfen der Konsumenten zu verankern.
Aufbruch ins Web 2.0
Die Möglichkeiten des World-Wide-Web und besonders von Social Media haben dieses Dogma schließlich abgelöst. Den alleinigen Rezipienten findet man kaum noch, dieser wurde zum Prosument. Egal, ob ein Beitrag geliket oder kommentiert, eine Rezension geschrieben, Freunden über ein Produkt berichtet oder dem Unmut in einem Video Luft gemacht wird – in irgendeiner Form kommt fast immer Feedback zurück an die Marke.
Markenumfelder und Marktentwicklungen sind damit heute unvorhersehbarer als je zuvor, da enorm große Mengen an Einflussfaktoren existieren. Die Blackbox mit der Anzahl an Social Media Plattformen und Nutzern wächst dabei täglich. Konsumenten haben mehr Alternativen und können minutengenau Produkte und Preise aller Anbieter vergleichen, um schnell das am besten zugeschnittene Angebot zu finden.
Der moderne Konsument stellt neue anspruchsvolle Erwartungen an Marken. Psychologische Faktoren gewinnen dabei gegenüber rein funktionalen vermehrt an Bedeutung. Die Brand Experience der erfolgreichen Marken von morgen zielt daher auf Emotionen, Authentizität und Ermöglichung ab – wer sich heute als Enabler positioniert ist zukunftssicher aufgestellt. Die Markenkommunikation ist mit diesem rasanten Anstieg an Kanälen komplexer und anspruchsvoller als je zuvor. Customer Journeys nach dem Baukastenprinzip funktionieren nicht mehr: Touchpoints müssen zu Trustpoints umstrukturiert werden.
Die Gesellschaft im Wandel: Wie lauten die Werte von morgen?
Positionierungen und Verkaufsargumente, die nicht über die funktionalen Eigenschaften hinausgehen, sind in der heutigen Zeit kaum mehr ausreichend. Emotionen, Werte und vor allem ein tieferer Sinn werden bei Marken und Produkten immer mehr zur Grundbedingung für langfristigen Erfolg. Eine Marke muss sich daher als Sinn-Entität verstehen, welche in die Gesellschaft mit einem klaren Ziel hineinwirkt und sich einem tiefergehenden Sinn verschrieben hat.
Der ehemalige Mikrotrend der LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) ist schon lange keine Nischenbewegung mehr. Das Credo „Besser statt mehr“ hat sich erst auf Konsumentenebene ausgebreitet und etabliert, jetzt bahnt es sich den Weg in die Unternehmen und fordert Veränderung.
Exkurs: Die Bedürfnispyramide nach Maslow
Die Bedürfnispyramide – oder auch Bedürfnishierarchie – nach Abraham Maslow ist ein sozialpsychologisches Modell zur Hierarchisierung von menschlichen Bedürfnissen und Motivationen. Diese ist in fünf Stufen unterteilt, wobei die nächst höhere Bedürfnisstufe nur erreicht werden kann, wenn alle darunterliegenden erfüllt wurden. Bedürfnisse, die bereits erfüllt sind, wirken dann nicht mehr motivierend.
Die ersten vier Stufen werden als sogenannte Defizitbedürfnisse bezeichnet, die höchste Stufe als Wachstumsmotiv. Wenn die Defizitbedürfnisse nicht erfüllt werden, kann das negative physische und seelische Folgen haben. Das Wachstumsmotiv kann jedoch nie abschließend und gänzlich befriedigt werden.
In der heutigen vernetzten und digitalisierten Welt findet das Modell auch weiterhin Anwendung, wird aber durch neue höhere Ebene ergänzt, die das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung übersteigt: Selbsttranszendenz. Immer weniger wird die reine Ich-Fixierung zum Ziel, sondern viel mehr das Erleben im Sinne einer Wir-Kultur. Das Gefühl, Teil einer gemeinsamen Bewegung zusammen mit Menschen ähnlicher Gesinnung zu sein, wird zum neuen Anspruch – auch für Marken.
Der Megatrend der Individualisierung bildet dabei den Auslöser. War Individualität früher durch die maximale Abgrenzung zu anderen charakterisiert, steht heute die gemeinsame Identifikation mit gleichgesinnten Gruppen im Fokus – alles im Sinne des tieferen Bedürfnisses nach Verbundenheit, Zugehörigkeit und Resonanz.
Die Suche nach einem Sinn
Besonders die aktuelle COVID-19-Krise hat nochmals aufgezeigt, dass sich das jetzige Wirtschaftssystem an einem historischen Wendepunkt befindet. „Wachstum schafft Wohlstand“ galt jahrzehntelang als der Heilige Gral in der Wirtschaft. Immer mehr liegt der Fokus auf qualitativen und nicht quantitativen Kriterien – weg von immer höher, weiter, besser.
Die nächste Unternehmensgeneration muss nach dem Credo „People, Planet & Profit“ agieren – in genau dieser Reihenfolge. Jüngere Generationen erwarten, dass Marken einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Marken sind dabei die Hülle, die den Menschen in einer immer komplexer werdenden Welt das geforderte Maß an Hilfe und Orientierung bieten, und so ihren Beitrag zur eigenen Sinn- und Identitätsfindung liefern.
Der Niedergang der klassischen Werbung
Je stärker der Fokus auf Sinn, Lebensqualität und die Einstellung „Weniger ist mehr“ liegt, umso weniger funktionieren die Mechanismen der klassischen Werbung, einen imaginären Bedürfnismangel zu suggerieren. Marken müssen sich zukünftig als Gestalter positionieren, die aus intrinsischen Motiven heraus einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der Gesellschaft leisten wollen.
Studien zeigen: Je mehr Geld in einem Land in die Werbung fließt, umso geringer ist die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung (vgl. Torres, N. 2020, Harvard Business Review; Link).
Weg vom Ich, hin zum Wir
Verstärkt wird dieser Wandel durch die Dynamik der Trends – insbesondere dem der Individualisierung. Heute geht es nicht mehr um die maximale Abgrenzung im Sinne eines Ego-Individualismus, sondern viel mehr um ein gemeinsames Verständnis von Wir-Kultur. Nach einer langen Phase, in der die Individualisierung bis auf die Spitze getrieben wurde, überwiegt nun wieder eine tiefe Sehnsucht nach Verbundenheit, Zugehörigkeit und Resonanz.
Das Bewusstsein für Beziehungen zu anderen Menschen, der Natur und anderen Dingen, die uns im Alltag umgeben, wächst – Corona hat diese Entwicklung nochmals beschleunigt. Daraus ergibt sich für Marken eine neue Chance: über geteilte Werte mit Kunden können nachhaltige Resonanzerfahrungen geschaffen werden. Seit jeher ist Konsum einer der stärksten Treiber für die eigene Identität – ob nun aus extrinsisch materiellen oder intrinsischen Gründen. Nun wird dieses Bedürfnis zusätzlich noch kollektiv und holistisch aufgeladen.
Marken müssen sich von Warenanbietern und Dienstleistern zu Gestaltern von Lebens- und Resonanzräumen zu entwickeln. Letztlich muss allerdings auf Unternehmensseite wiedererkannt werden, wer eigentlich im Zentrum aller Anstrengungen stehen muss: Nicht das Unternehmen selbst, auch nicht der Profit oder das Produkt, sondern der Mensch. Auf diesen muss das gesamte Handeln ausgelegt und die Customer Journey dementsprechend angepasst werden.
Der Tourismus im Wandel
Diese Veränderungen sorgen in der sowieso schon angeschlagenen Reisebranche für zusätzliche Herausforderungen. Menschen suchen in Reisen nicht mehr temporäre Erholungstrips, sondern einen tiefergehenden Austausch mit der gesamten Umgebung, die in letzter Instanz den eigenen Horizont und Lebenslauf erweitert. Airbnb hat diesen Wandel frühzeitig erkannt und das eigene Geschäftsmodell dementsprechend erfolgreich modifiziert: vom Übernachtungsportal zum Anbieter von Reiseerlebnissen.
Jetzt bleibt abzuwarten welche Marken diesen Paradigmenwechsel tatsächlich verstehen und tiefgreifende Veränderungen vornehmen. Nur wer heute handelt kann auch morgen erfolgreich sein – das gilt insbesondere in Zeiten von COVID-19.